30. Januar: Internationaler Tag für Vernachlässigte Tropenkrankheiten
Vernachlässigte Tropenkrankheiten (Neglected Tropical Diseases, NTDs) umfassen eine vielfältige Gruppe von Krankheiten, die durch Viren, Bakterien, Würmer, Protozoen und sogar Schlangengift verursacht werden. Besonders betroffen sind benachteiligte Bevölkerungsgruppen in tropischen und subtropischen Regionen mit niedrigem und mittlerem Einkommen, was verheerende gesundheitliche und sozioökonomische Folgen hat.
Der Begriff „vernachlässigt“ weist darauf hin, dass diese Krankheiten trotz ihrer enormen Auswirkungen weitaus weniger Aufmerksamkeit erhalten als andere globale Gesundheitsprobleme. Laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO) sind jährlich mehr als 1 Milliarde Menschen von NTDs betroffen. Vor allem in Südostasien und Afrika sind aktuell etwa 1,6 Milliarden Menschen auf präventive und medizinische Maßnahmen angewiesen. Tragischerweise führen viele dieser Erkrankungen zu Todesfällen, obwohl die Infektionen in den meisten Fällen vermeidbar und behandelbar sind. Zudem hinterlassen sie bei vielen Überlebenden bleibende Behinderungen, die es ihnen erschweren, zur Schule zu gehen oder zu arbeiten. Dies verstärkt die Armut in diesen ohnehin schon benachteiligten Gemeinschaften noch weiter. Darüber hinaus sind betroffene Personen oft Diskriminierung und sozialer Ausgrenzung ausgesetzt.
In dem folgenden Interview-Ausschnitt beschreibt uns die Münchner Infektionsmedizinerin und Expertin für Schistosomiasis Professorin Dr. Clarissa Prazeres da Costa die Besonderheiten von NTDs:
Warum richten vermeidbare Krankheiten so viel Schaden an?
Die Antwort liegt in einem tragischen Paradoxon:
Diejenigen, die die Behandlung am dringendsten benötigen, sind am weitesten von ihr entfernt.
Die meisten NTDs sind vermeidbar, behandelbar oder sogar beides, dennoch bleibt der Zugang zu den benötigten Medikamenten und Impfstoffen für viele Betroffene unerreichbar. Ein gutes Beispiel ist Schistosomiasis, die mit dem kostengünstigen Medikament Praziquantel behandelt werden kann. In wohlhabenderen Ländern ist dieses Medikament gut verfügbar, doch in einkommensschwachen Regionen ist der Zugang stark eingeschränkt.
Zusätzlich verschärft die geografische Isolation das Problem. Wird beispielsweise jemand in einer abgelegenen Region von einer Giftschlange gebissen, hängt die Überlebenschance oft vom schnellen Zugang zu einem Gegengift ab. In ländlichen Gegenden sind diese jedoch häufig nur in städtischen Krankenhäusern vorrätig, was die Überlebensrate deutlich senkt. Darüber hinaus sind Gesundheitseinrichtungen in einkommensschwachen Ländern oft schlecht ausgestattet und verfügen nur über begrenzte diagnostische Möglichkeiten. Dies erschwert es, Symptome korrekt zu erkennen und eine passende Behandlung zu gewährleisten.
Herausforderungen durch Umwelt und sanitäre Bedingungen
In vielen Fällen fördern schlechte sanitäre Bedingungen und der Mangel an sauberem Wasser die Ausbreitung von NTDs. Ein Beispiel hierfür ist die Guineawurm-Krankheit (Dracunculiasis), die übertragen wird, wenn Menschen infiziertes Wasser trinken. Diese Krankheit könnte jedoch mit einfachen Maßnahmen, wie Wasserfiltration, effektiv verhindert werden. Dank erfolgreicher Präventionsprogramme meldete die WHO im Jahr 2024 weltweit nur noch 14 Fälle.
Bei bodenübertragenen Helminthiasis, wie etwa Wurminfektionen, sieht die Lage jedoch anders aus. Diese Krankheiten könnten durch einfache Hygienemaßnahmen wie regelmäßiges Händewaschen, persönliche Hygiene und das Tragen von Schuhen vermieden werden. Trotz ihrer Einfachheit sind solche Maßnahmen in vielen armen Regionen jedoch oft schwer umzusetzen und zu finanzieren.
Auch vektorübertragene Krankheiten, die durch Insekten wie Mücken verbreitet werden, hängen stark von Umweltfaktoren und effektiven Präventionsmaßnahmen ab. Ein besorgniserregendes Beispiel ist das Dengue-Fieber, das in den letzten Jahren weltweit stark zugenommen hat. Laut WHO wurden 2024 über 7,6 Millionen Fälle gemeldet. Diese hohen Fallzahlen verdeutlichen die dringende Notwendigkeit, Kontrollmaßnahmen zu verbessern, um Ausbrüche einzudämmen. Weiterhin muss die Bevölkerung umfassend über die Verbreitung, Übertragung und Präventionsmöglichkeiten solcher Krankheiten aufgeklärt werden.
Eine komplexe Aufgabe
NTDs umfassen etwa 21 verschiedene Krankheiten, die jeweils eine eigene Epidemiologie, einen eigenen Lebenszyklus und spezifische Übertragungsdynamiken aufweisen. Ihre Komplexität macht sie extrem schwer zu überwachen und zu kontrollieren. Die Bekämpfung von NTDs erfordert maßgeschneiderte und vielseitige Ansätze, die Umweltfaktoren ebenso berücksichtigen wie den Zugang zu medizinischer Versorgung.
Trotz dieser Herausforderungen arbeiten viele Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen daran, NTDs zu bekämpfen. Eine von ihnen ist Professorin Dr. Clarissa Prazeres da Costa, Parasitologin an der Technischen Universität München. Ailín Österlein-Kück hat für Infect-Net mit ihr über NTDs, Schistosomiasis und die Herausforderungen der Krankheitsbekämpfung gesprochen. Hier fasst sie selbst ihre Forschungsthemen kurz zusammen und betont die Bedeutung internationaler Zusammenarbeit:
Clarissa Prazeres da Costa lehrt und forscht am Institut für Medizinische Mikrobiologie, Immunologie und Hygiene der TUM, leitet die Arbeitsgruppe Parasitologische Diagnostik und ist Mitbegründerin und Kodirektorin des Center for Global Health @TUM.
Das komplette Interview mit Clarissa Prazeres da Costa ist auf YouTube zu sehen. Darin erklärt sie unter anderem den komplexen Wirtskreislauf des Parasiten Schistosoma mansoni, die Ansteckungsrisiken und warum NTDs in Zukunft auch in Europa eine immer größere Rolle spielen könnten.
Weitere Infect-Net-Expertinnen für NTDs sind übrigens:
- Prof. Dr. Eva Herker erforscht virale Erkrankungen, darunter auch das Dengue-Virus
- PhD Daniela Fusco entwickelt nachhaltige Lösungen zur Kontrolle von NTDs durch Forschung und Kapazitätsaufbau in Zusammenarbeit mit lokalen Akteuren
- Prof. Dr. Susanne Kramer erforscht afrikanische Trypanosomen, die Erreger der Schlafkrankheit
Quellen:
“Global report on neglected tropical diseases 2024.” Accessed: Jan. 30, 2025. [Online]. Available: https://www.who.int/teams/control-of-neglected-tropical-diseases/global-report-on-neglected-tropical-diseases-2024
A. Amt, “Schistosomiasis (auch: Bilharziose),” Auswärtiges Amt. Accessed: Jan. 30, 2025. [Online]. Available: https://www.auswaertiges-amt.de/de/reiseundsicherheit/reise-gesundheit/schistosomiasis-2562868
CDC, “Neglected Tropical Diseases,” Neglected Tropical Diseases. Accessed: Jan. 30, 2025. [Online]. Available: https://www.cdc.gov/neglected-tropical-diseases/index.html
“Vernachlässigte Tropenerkrankungen (NTDs),” BMG. Accessed: Jan. 30, 2025. [Online]. Available: https://www.bundesgesundheitsministerium.de/service/begriffe-von-a-z/t/tropenerkrankungen-vernachlaessigte.html
A. Amt, “Denguefieber,” Auswärtiges Amt. Accessed: Jan. 30, 2025. [Online]. Available: https://www.auswaertiges-amt.de/de/reiseundsicherheit/reise-gesundheit/denguefieber-2436520
“Dengue- Global situation.” Accessed: Jul. 17, 2024. [Online]. Available: https://www.who.int/emergencies/disease-outbreak-news/item/2023-DON498
Ailín Österlein-Kück | Öffentlichkeitsarbeit Infect-Net
René Lesnik | Koordination Infect-Net